Erste Punktprävalenzerhebung des Altersdelirs in einem großen deutschen Allgemeinkrankenhaus – Probleme und Konsequenzen

Christine Thomas
Ev. Krankenhaus Bielefeld
Thomas, C.; Guhra, M.; Cieplinska-Legge, E. und Kreisel, S.

Einleitung: Das Altersdelir wird häufig als "Durchgangssyndrom" bagatellisiert - oder überhaupt nicht diagnostiziert bzw. als Dememnz verkannt. Dabei zeigte eine erst kürzlich publizierte Metaanalyse, dass das hazard ratio für Mortalität nach stattgehabten Altersdelir nach einer Krankenhausbehandlung bei 1.95 (95%CI: 1.51-2.52) liegt (Witlox J. (2010); die Aufenthaltsdauer und Kosten sind ebenfalls deutlich erhöht.
Die Punktprävalenz zum Zeitpunkt der Aufnahme in ein Krankenhaus beträgt auf internistischen Abteilungen zwischen 10 und 31% (Siddiqi N. (2006). Unfallchirurgische Patienten sind in 30-70% der Fälle betroffen und in der Palliativmedizin werdne bis zu 80% Delirien berichtet. Diese Angaben stammen allerdings durchweg aus Studien, die konsekutive Einweisungen (häufig mit nur geringen Fallzahlen) untersuchten und die die weniger rigide DSM-IV-Klassifikation verwenden. Es bleibt unklar, ob diese Angaben auch für das deutsche Gesundheitssystem, das sich nach der ICD-10 Klassifikation richtet, gelten können - und ob diese Delirrate für das jeweilige Krankenhaus repräsentativ ist, da Sampling-Methoden nicht angewandt wurden.
Methodik: Über einen Zeitraum von fünf Monaten wurden ca. 10% aller Patienten (>70 Jahre) die zur Aufnahme in das Evangelische Krankenhaus Bielefeld kamen und die nicht an einer überwachungspflichtigen Erkrankung litten, durch vorher geschulte „Screener“ (Kranken-schwestern und –helferinnen) am Tag nach der Aufnahme und dann weitere zwei Mal im Verlauf von einer Woche mittels der Confusion Assessment Method (CAM) auf das Vorliegen eines Delirs untersucht. Die Diagnose wurde dann von einem Facharzt nach den Diagnoseklassifikationen, ICDL-checklistengestützt, validiert. Patienten wurden zufällig ausgewählt, nach Fach¬abteilungen stratifiziert, proportional der Anzahl ihrer Aufnahmen. Die Punktprävalenz wurde unter Berücksichtigung des Sampling-Designs errechnet.
Resultate: Die Punktprävalenz für das Altersdelir betrug 13.25% nach der DSM-IV-Klassifikation (95%CI 9.14 –17.36) und 7.3% (95%CI: 4.5–11.1) für das ICD-10-Delir. Die Fehler¬wahrscheinlichkeit bei gegebenen Sampling-Design ergab 2.9% (95% Konfidenzniveau). Allerdings waren weniger als 2/3 der ICD-10-Delirien letzt¬endlich in den Akten kodiert worden, obwohl aus ethischen Gründen ein hinweisender Kurveneintrag erfolgt war. Die Übereinstimmung der CAM-Screenings mit den Facharztdiagnosen stieg im Verlauf der Studie deutlich an, zunächst lag die Sensitivität nur bei 50% (bei hoher Spezifität).
Diskussion: Offensichtlich zeigt sich eine geringere Delirwahrscheinlichkeit im Setting eines deutschen Krankenhauses der Maximalversorgung (jedoch nach a priori Ausschluss überwachungspflichtiger Patienten) als in der Literatur für die internistischen Abteilungen angegeben; möglicherweise ist dies jedoch auch der – adäquateren – Sampling-Methode geschuldet. Die Prävalenz nach den ICD-10-Kriterien ist deutlich geringer. Dennoch bleibt eine erhebliche diagnostische – und finanzielle Lücke, die durch multiprofessionelle Schulung geschlossen werden muß. Eine eingehende Schulung mit Praxisphase erscheint notwendig, wenn das CAM-Screening zur primären Erkennung des Delirs eingesetzt werden soll.

Witlox J. et al. (2010) Delirium in elderly patients and the risk of postdischarge mortality, institutionalization, and dementia. A meta-analysis. JAMA. 304:443-451
Siddiqi N. et al. (2006) Occurrence and outcome of delirium in medical in-patients: a systematic literature review. Age and Ageing. 35:350-364


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