Deeskalationsmanagement in der Gerontopsychiatrie
Rainer Kortus
Klinikum Schloß Winnenden, Zentrum für Psychiatrie und Neurologie,
Winnenden
Im Klinikum Schloß Winnenden (Zentrum für Psychiatrie und Neurologie, Winnenden) wird seit 8 Jahren zur Verminderung von Aggressionen, Eskalation und Verletzungen von Personal und Patienten das patentierte Präventionskonzept ProDeMa® angewendet. Fünf leitende Pflegedienstmitarbeiter aus dem Bereich der Pflegedienstleitung und der Stationsleitung ließen sich zu Trainer(inne)n dieses Präventionskonzeptes ausbilden und schulten dann in regelmäßigen Einführungs- und Aufbaukursen über jeweils 3 Tage die Mitarbeiter in Gruppen von 15-20 Mitarbeitern. Ein großer Teil der Ausgebildeten kam aus der Pflege, die ja am direktesten und unmittelbarsten den Gewalt- und Gefahrensituationen ausgesetzt ist. Darüber hinaus ließen sich Ärzte und Ärztinnen schulen aber auch Mitarbeiter/innen aus den verschiedenen Bereichen der Spezialtherapien. Mit regelmäßigen jährlichen Wiederholungskursen und monatlichen updates ist gesichert, dass über die Hälfte der behandelnden und pflegenden Mitarbeiter ein ProDeMa-Training durchlaufen hat.
Das Konzept hat folgende Schwerpunkte
(siehe auch Präsentation im Internet):
– Verhinderung (Verminderung) der Entstehung von aggressiven Verhaltensweisen
von Patienten, Bewohnern und Klienten.
– Verhinderung von Eskalation durch professionelle Grundhaltungen im Umgang
mit Aggressionen und durch spezialisierte verbale Deeskalationstechniken.
–
Verhinderung von Verletzungen von Personal und Patienten bei An- oder Übergriffen
durch verletzungsfreie Abwehr- und Fluchttechniken sowie verletzungsfreie Immobilisations-
und Fixierungstechniken.
Die Schulung und die Anwendung dieser Arbeitsweise hat in unserem Hause dazu geführt, dass für die betroffenen Mitarbeiter wesentlich mehr Sicherheit herrscht und konflikthafte Situationen zunehmend von den deeskalierenden Mitarbeitern entschärft werden können und durch Nachbesprechungen die Ergebnisse gefestigt werden.
Das Konzept sieht 7 Deeskalationsstufen vor, die in den Kursen gelehrt werden:
–
Deeskalationsstufe I bearbeitet die Entstehung der Verhinderung von Gewalt
und Aggression durch Erkennen und Verändern aggressionsauslösender
Umgebungsbedingungen und Reize wie hierarchische Umgangsformen, rigide Stationsregeln,
nicht Ernstnehmen von Bedürfnissen etc. („institutionelle Gewalt“)
–
Deeskalationsstufe II widmet sich der Veränderung der Bewertungsprozesse
aggressiver Verhaltensweisen, indem Wahrnehmungsarten und Bewertungssysteme
der Betreuer dargestellt und reflektiert werden und die eigenen Umgangsmöglichkeiten
mit heftigen Emotionen erarbeitet werden.
–
Deeskalationsstufe III bearbeitet das Verständnis der Ursachen und Beweggründe
aggressiver Verhaltensweisen: Verschiedene Auslöser und Motive für
aggressives Verhalten werden dargestellt und die damit zusammenhängenden
Bedürfnisse und Gefühle erarbeitet, über die wir Kontakt aufnehmen
mit dem erregten Patienten, ihn verstehen und ihm helfen können, um eine
weitere Eskalation zu verhindern.
–
Deeskalationsstufe IV erarbeitet kommunikative Deeskalationsstechniken im direkten
Umgang mit hochgespannten Patienten/Betreuten (Sekundärprävention):
Es werden Kommunikation und Gesprächsführung mit hochgespannten Patienten
trainiert, um akute Krisensituationen verbal zu deeskalieren, indem wir mit
einem klärenden, entlastenden und lösungsorientierten Gespräch
die innere Not des Patienten annehmen.
–
Deeskalationsstufe V: Patientenschonende Abwehr- und Fluchttechniken. Bei diesem
Baustein werden Techniken und Griffe zur körperschonenden und verletzungsfreien
Abwehr gelehrt, um brachialer Aggression schonend zu begegnen und die Unfallrisiken
zu reduzieren.
–
Deeskalationsstufe VI: Patientenschonende Begleit-, Halte-, Immobilisations-
und Fixierungstechniken: Hier werden Immobilisations- und Fixierungssituationen
im Team geübt, die ggf. bei sehr verwirrten und kooperationsunfähigen
Patienten angewendet werden müssen möglichst ohne Verletzungen aller
Beteiligten.
–
Deeskalationsstufe VII beinhaltet die präventiven Möglichkeiten nach
aggressiven Vorfällen (Tertiärprävention) und besteht in der
Anleitung zur Nachbesprechung von aggressiven Vorfällen mit dem Patienten,
Mitarbeitern oder im Team mit dem Ziel der Absprache für zukünftige
Situationen und ggf. besserer Koordination. Auch die Berücksichtigung
posttraumatischer Belastungssymptome gehört dazu.
Die Grundlagen des Deeskalationstrainings treffen zwar auch für die Alterspsychiatrie zu, jedoch sind die Deeskalationsstufen nur bedingt auf alterspsychiatrische Patienten anwendbar. Insbesondere beim Umgang mit den relativ häufigen Krankheitsbildern Demenzen und deliranter Störungen haben wir daher Wege gesucht, für unsere alten Patienten dieses Deeskalationskonzept zu adaptieren.
Eine sehr erfahrene Mitarbeiterin (Antje Schindler) aus der Alten- und Krankenpflege hat sich der Aufgabe gewidmet, ein Schulungsprogramm zu entwickeln in Anlehnung an das ProDeMa-Projekt aber im Hinblick auf unsere typische Altersklientel. Unter Zugrundelegung der Materialien des Instituts für professionelles Deeskalationsmanagement von Frau Ingeborg Thumer-Dierolf (Leitung Dipl.Psych. Ralf Wesuls) hat sie die einzelnen Stufen aus Sicht der Alterspsychiatrie beschrieben, entsprechende Beispiele dargestellt und Lösungen erarbeitet und das Ganze in einem Curriculum gestaltet, welches seither zur Schulung unserer Mitarbeiter in der Alterspsychiatrie genützt wird. Inzwischen wurde ein weiterer Trainer für diese Spezialisierung ausgebildet, weitere Ausbildungen sind geplant.
Das Wertvolle dieser inhaltlichen Anpassung liegt darin, dass typische Behandlungs- und Krisensituationen aus der Alterspsychiatrie und der Demenzarbeit beispielhaft herausgearbeitet werden und ebenso die daraus folgenden möglichen Gesprächs- und Handlungsempfehlungen dargestellt werden.
Ein wichtiger Gesichtspunkt bei
dieser altersorientierten Spezifizierung findet sich in den „Kontaktreflektionen“ von Garry Prouty, die hier ebenfalls
dargestellt und eingearbeitet werden. Bei Menschen mit eingeschränkter
Kommunikationsfähigkeit, wie z.B. dementen Menschen, solchen mit geistigen
Behinderungen oder chronischen Psychiatriepatienten gilt es, den Kontakt auf
andere Art herzustellen. Vier Kontaktreflektionen sollen helfen, den Kontakt
zum Kranken zu ermöglichen:
– Situationsreflektion: das Ansprechen der Situationen
– Gesichtsausdrucksreflektion: das Ansprechen des Gesichtsausdrucks
–
Körperhaltungsreflektion: Ansprechen/Wiedergabe der Körperhaltung
–
Wortwiederholungsreflektion: Wort-für-Wortwiederholungen
Unter Berücksichtigung der Wahrnehmung bei diesen Kontaktreflektionen erhalten wir ggf. einen leichteren Zugang zur Erlebnisweise des Patienten, können dann besser auf ihn eingehen und ihn in die Situation bringen, zu seiner Umwelt oder zu sich selber in Kontakt zu kommen. Auf diesem Weg lassen sich ebenfalls kritische Situationen bewältigen und lässt sich mehr Sicherheit herstellen.
Die Schulung und Anwendung dieses Konzepts ist ein Unterfangen, das nur über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahren mit regelmäßigen Schulungen, Auffrischungswiederholungen und sorgsamer Anwendung erfolgreich genützt werden kann.
In unserer Klinik hat sich die Kommunikation bei krisenhaften Zuständen insbesondere auf den geschützten Stationen in der Alterspsychiatrie sehr bewährt und gefährliche Zuspitzungen sind inzwischen sehr selten. Voraussetzungen dafür sind allerdings eine genügende Anzahl ausgebildeter Mitarbeiter auf der Station sowie die regelmäßige Bewusstmachung durch Auffrischungseinheiten, die wir im Rahmen unserer abteilungsbezogenen innerbetrieblichen Fortbildung stundenweise anbieten.
Bei Interesse an diesem Programm nehmen Sie bitte Kontakt auf mit Antje Schindler über a.schindler@zfp-winnenden.de.
Ein weiterer Mitarbeiter (Michael
Brendler, Altenpfleger, Station A3), der sich aktuell zum Prodema -Trainer
für Gerontopsychiatrie ausbilden lässt,
hat einen Leitfaden zur Hilfe und Unterstützung für Mitarbeiter nach
traumatisierenden Ereignissen entwickelt. Kontaktaufnahme möglich unter
m.brendler@zfp-winnenden.de.