Veränderungen von nicht-kognitiven Störungen und herausforderndem Verhalten – Spontanverlauf versus Therapieffekte
Dirk K. Wolter,
Fachbereich Gerontopsychiatrie, Inn-Salzach-Klinikum, Wasserburg am Inn
Demenzerkrankungen
sind nicht nur durch kognitive Beeinträchtigungen gekennzeichnet, vielmehr
finden sich häufig auch andere Auffälligkeiten, die für Angehörige
und Betreuungspersonen eine große Belastung darstellen. Neben den Begriffen
nichtkognitive Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten wird seit einiger
Zeit oft von herausforderndem Verhalten (challenging behaviour) gesprochen,
während in der englischsprachigen Literatur die Bezeichnung Behavioural
and Psychological Symptoms in Dementia (BPSD) weit verbreitet ist. Diese
Auffälligkeiten treten bei Demenzkranken deutlich häufiger auf
als bei kognitiv nicht beeinträchtigen gleichaltrigen Personen.
Die Bezeichnung BPSD wird nicht selten in einer Art und Weise verwendet, als
handelte es sich dabei um ein zusammenhängendes, irgendwie einheitliches
Syndrom. Tatsächlich ist dies nicht der Fall. BPSD ist vielmehr ein unspezifischer
Oberbegriff, ein bloßes Sammelsurium von psychiatrischen Symptomen i.
e. S. einerseits und von Verhaltensweisen, die bei Demenzerkrankungen „typisch“ sind
und häufig auftreten andererseits. BPSD beschreibt keine einheitliche
Symptomatik, es gibt keine einheitliche Verlaufssystematik, keine einheitlichen
Entstehungsmechanismen und keine einheitliche Behandlung.
Trotz zahlreicher methodischer Schwierigkeiten lassen die vorliegenden Studien
keinen Zweifel daran, dass die nichtkognitiven Symptome keinesfalls dauerhaft
vorhanden sind. Die größte Verlaufsstabilität weist in vielen
Studien die Apathie auf. Alle Symptome können im Verlauf an Intensität
zu- oder abnehmen, ein Symptom kann das andere ablösen, Verbesserungen
sind alles andere als selten.
Häufig werden nichtkognitive Symptome allein auf organische Schädigungen
des Gehirns zurückgeführt. Tatsächlich können aber auch
zahlreiche andere Faktoren eine wesentliche Rolle spielen: Primärpersönlichkeit,
die spezifische individuelle Biographie, bedeutsame Lebensereignisse, erlernte
bzw. gewohnte Wege der Problembewältigung (auch solche, die schon immer
zu Problemen geführt haben), spezifische interpersonelle Beziehungen,
aktuelle Umgebungseinflüsse (physikalisch: Lärm, Raumtemperatur usw.
- psychosozial: angespannte Atmosphäre usw.) sowie die aktuelle körperliche
Verfassung (Erkrankungen, Schmerzen, Müdigkeit usw.).
Weil Entstehungsbedingungen und Ursachen so vielfältig sind, müssen
die therapeutischen Strategien entsprechend mehrdimensional sein. Ihre Wirksamkeit
ist jedoch wegen der o. e. Verlauf svariabilität schwer zu beurteilen.
Dementsprechend gibt es nur wenige Daten im Sinne der evidenzbasierten Medizin.
Die einschlägigen Leitlinien verlangen, dass die o. a. Einflussfaktoren
ermittelt und im Sinne einer ursächlichen Behandlung angegangen werden
müssen, bevor Psychopharmaka zur symptomatischen Behandlung eingesetzt
werden. Die therapeutischen Effekte der medikamentösen Behandlung sind
oft nur bescheiden und werden zusätzlich durch Nebenwirkungen in Frage
gestellt. Dies gilt ganz klar für Neuroleptika, die in diesem Bereich
am häufigsten und undifferenziert eingesetzt werden, während über
medikamentöse Alternativen wenig bekannt ist.
Literatur:
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