Das Set-Shifting Paradigma in der Demenz(früh)diagnostik
Sabine Engel, Roland
Rupprecht,
Institut für Psychogerontologie, Gedächtniszentrum
Erlangen, FAU Erlangen-Nürnberg
Unbeeinträchtigte „shifting-Leistungen“ zeigen
sich im schnellen, flexiblen und zielgenauen Wechseln der gerichteten Aufmerksamkeit
auf verschiedene Target-Reize. Voraussetzung für diese „shifting-Leistungen“ ist
somit die Aufmerksamkeitskontrolle, eine kognitive Basisdomäne, die neben
Abrufflüssigkeit („fluency“), Planen, Arbeitsgedächtnis
und Inhibition zu den Teilfunktionen der exekutiven Funktionen gezählt
wird (Welsh & Pennington (1988).
Dass es schon bei beginnenden Demenzerkrankungen nicht nur zu Störungen
beim Einspeichern neuer Informationen in das episodische Gedächtnis kommt,
sondern auch zu Beeinträchtigungen der Exekutivfunktionen, konnte schon
in älteren Forschungsarbeiten aufgezeigt werden (z.B. Galasko et al.,
1990; Rubin et al., 1993; Masure et al., 1994).
Die exekutive Funktion des Wechselns zwischen zwei Kategorien wird üblicherweise
mithilfe des Trail Making Tests A und B (TMT; Army Individual Test Battery,
1944) erhoben. Vor allem im Vergleich der beiden Subtests A und B zeigt sich,
dass Menschen mit einer beginnenden Demenz bereits deutliche Leistungseinbußen
in dieser Shifting-Leistung haben (Arbuthnott, K., & Frank, J. (2000);
(Giovagnoli, A. R. et al. 1996).
Zu den Exekutivfunktionen zählt auch die Teilleistung der semantischen
Wortflüssigkeit („semantic verbal fluency“). Eine klassische
Aufgabe zur Messung der semantischen Wortflüssigkeit stellt beispielsweise
die sog. „Tier-Aufgabe“ dar, bei es die Leistung darin besteht,
innerhalb einer Minute so viele Tiere wie möglich zu nennen. Auch diese
Funktion ist bereits im Frühstadium einer Demenzerkrankung deutlich herabgesetzt
(Gomez, R.G., White, D.A. 2006). Da semantische Wortflüssigkeit aber nicht
nur die Struktur des semantischen Gedächtnisses repräsentiert, sondern
auch Ergebnis einer Vielzahl von exekutiven Teilleistungen ist, wie z.B. Verarbeitungsgeschwindigkeit,
strategisches Abrufen, und Aufmerksamkeitskontrolle, ist es nach wie vor ungeklärt,
ob Beeinträchtigung bei Demenzkranken durch eine Störung der exekutiven
Abrufstrategie hervorgerufen wird, oder eher von einer Zerstörung des
semantischen Speichers (Henry, J.D. Crawford, J.R., Phillips, L.H. 2003).
Wird die „semantic verbal fluency“-Aufgabe nun dahingehend abgewandelt,
in einer Minute immer abwechselnd Wörter aus zwei unterschiedlichen semantischen
Kategorien abzurufen (z.B. aus den Kategorien „Kleidung“ und „Nahrungsmittel“:
KN-Wörter-Test), wird dadurch zusätzlich ein set shifting-Aspekt
in den Bereich der semantischen Wortflüssigkeit eingeführt (Kalbe,
E. et al 2008). Diese Fähigkeit wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit „concept
shifting“ genannt.
Aus den Patienten des Gedächtniszentrums Erlangen wurde eine Substichprobe
von N=39 Frauen und 27 Männern (Alter: 30 – 86 Jahre, MW = 69.36,
s = 10.56; MMST: 19 - 30 Punkte, MW = 27.72, s = 2.43) zusätzlich zum
neuropsychologischem Standarduntersuchungsprogramm mit dem KN-Wörtertest
untersucht. Erste Ergebnisse zeigen, dass das „concept-shifting-paradigma“ für
die Frühdiagnostik von dementiellen Erkrankungen geeignet zu sein scheint.
Die Ergebnisse im KN-Wörter-Test (Anzahl von korrekten Wechseln zwischen
den beiden semantischen Kategorien) korrelieren hochsignifikant sowohl mit
dem MMST-Gesamtwert (r = .58, p < .001) als auch mit den Subscores „Orientierung“ (r
= .42, p < .001) und „Erinnerung“ (r = .50, p < .001). Desweiteren
zeigt sich ein ebenfalls hoch signifikanter (p < .001) Mittelwertunterschied
im KN-Wörter-Test zwischen den N = 25 MCI-Patienten (MW = 16.2; s =
4.53) und den N = 35 Patienten mit eindeutig diagnostizierter, leicht bis
maximal
mittelschwerer Demenz (MW = 11.0; s = 4.77).