Selbstbestimmt sterben?

Matthias Koller,
Richter am Landgericht Göttingen

Lebensschutz und Tötungsverbot zählen zu den Grundbeständen von Moral und Recht. Das deutsche Strafgesetzbuch verbietet deshalb auch die Tötung auf Verlangen. Demgegenüber sollen die Selbsttötung und die Beihilfe dazu (jedenfalls bislang und grundsätzlich) straflos sein. Für den „Zwischenbereich“ haben Rechtsprechung und Rechtswissenschaft eine ganze Reihe von Einzellösungen entwickelt, die unter Stichworten wie indirekte, aktive und passive Sterbehilfe, Behandlungsabbruch und assistierter Suizid, Tötung durch Unterlassen und unterlassene Hilfeleistung verhandelt werden. Jede Einzellösung wird höchst kontrovers diskutiert. Einigkeit besteht letztlich nur darüber, dass es dogmatisch zwingende Herleitungen nicht gibt und jede Lösung maßgeblich durch außerrechtliche Wertungen beeinflusst ist. Dem entsprechend findet sich auch international eine Vielzahl von sowohl im Grundsätzlichen als auch in den Einzelheiten divergenten Lösungen, nicht zuletzt auch, soweit es die Rolle der Ärzte betrifft.

Befürworter eines liberalen Umgangs mit der Sterbehilfe betonen besonders den Gedanken der Selbstbestimmung, die fester „Partner“ des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit und selbst ein Grund- und Menschenrecht ist. Bei näherem Zusehen indessen bietet auch dieser Gedanke keine durchgängig verlässliche Entscheidungshilfe. Welche Schwierigkeiten die Feststellung der Selbstbestimmung bereiten kann, wird zum Beispiel im Umgang mit Menschen mit Demenz deutlich: Gilt noch, was sie vor Jahren schriftlich verfügt haben? Und wie sind aktuelle Lebens- oder Sterbenswünsche zu bewerten? Sind diese Wünsche überhaupt rechtlich beachtlich? Und: Welchen aktuellen Äußerungen kann überhaupt ein solcher Erklärungsgehalt beigelegt werden?

Vor diesem Hintergrund sind die in der aktuellen rechtspolitischen Diskussion vertretenen Positionen und Konzepte zu bewerten. Die Frage erscheint erlaubt, ob es überhaupt schon hinreichende tatsächliche Grundlagen gibt, um diese Positionen und Konzepte zu fundieren.

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