Der Erzähl-Salon – eine Veranstaltungsform für die Grundbedürfnisse des Alters: Erzählen und Erinnern

Katrin Rohnstock
Rohnstock Biografien, Berlin

1. Zielsetzung/Fragestellung
» Das täglich Brot des Alters ist das Erinnern«, heißt es. Diesem Grundbedürfnis wird in den Strukturen des Alterslebens kaum Raum und Aufmerksamkeit zugestanden. Doch wer sich erinnert, lebt zweimal, fühlt sich lebendig und glücklich – unabhängig davon, ob der dem Erinnerten positive oder belastende Erlebnisse zugrunde liegen. Wer die Möglichkeit hat, seine Erinnerungen mitzuteilen – wer Aufmerksamkeit durch einen Zuhörer erfährt –, kann belastende, schwerwiegende Erlebnisse auf Dauer sogar verarbeiten. Auch Hochbetagte und Demente können sich erinnern und erzählen. Jede archaische Kultur kennt Rituale, die Alten durch Zuhören in die Gemeinschaft zu integrieren, ihnen dadurch Wertschätzung entgegenzubringen und zugleich von ihren Erfahrungen zu profitieren. Um die in unserer Gesellschaft fehlenden Rituale zu ersetzen, hat Rohnstock Biografien den Erzählsalon entwickelt – eine mit wenig Aufwand verbundene Veranstaltungsform, die Menschen einlädt, beieinander zu sitzen und sich gegenseitig ihre Geschichten zu erzählen. Erzählsalons finden in Nachbarschaftszentren, Seniorenresidenzen, Alten- und Pflegeheimen und auf der geriatrischen Station des Krankenhauses Berlin-Prenzlauer Berg statt, moderiert von ausgebildeten Salonniéren. Für eine bundesweite Pflegeheim-Kette wurden Pfleger zu Salonniéren ausgebildet. Durch die Erzählsalons lernen Menschen einander kennen. So fungiert die Veranstaltungsform auch zum Mittel gegen Vereinsamung. Denn: Wer seine Geschichte erzählt, erobert die Herzen der Zuhörer.


2. Materialien/Methoden
Bis zu zwölf Menschen sitzen beieinander und werden von der Salonniére eingeladen, ihre Erinnerungen zu einem Thema zu erzählen. Die Themenfindung beruht auf den Erfahrungen, die Rohnstock Biografien beim lebensgeschichtlichen Erzählen zum Schreiben von Autobiografien gemacht hat. Die Firma schreibt professionell – im Auftrag anderer – Autobiografien. Bisher hat sie mehr als 250 Lebensgeschichten aufgeschrieben und in Bücher gebracht. Beliebte Themen sind: »Wie ich mein erstes Geld verdiente«; »Meine ersten eigenen vier Wände«; »Mein erster Kuss«; »Mein schönster Frühling«; »Mein schwerster Winter« …
Die Salonniére fragt, wer beginnen möchte. Reihum erzählen die Teilnehmer ihre Geschichten. Dabei entscheidet jeder selbst, wann er bereit ist, seinen eigenen Beitrag zu leisten. Erfahrungsgemäß taut während des Erzählsalons auch der Verschlossenste auf. Falls ein Erzähler den roten Faden verliert oder keinen Schluss findet, hilft ihm die Salonniére weiter, um die Geduld der anderen nicht unnötig zu strapazieren. Eine Geschichte sollte nicht länger als fünf bis zehn Minuten dauern. Sonst verlieren die Zuhörer die Aufmerksamkeit und es entsteht Unruhe und Unmut. Aus diesem Grund sollte ein Erzählsalon nicht länger als zwei Stunden dauern. Der Erzählsalon hat sich in unterschiedlichsten Konstellationen bewährt. Er kann ebenso gut mit Angehörigen, Kindern und Enkeln durchgeführt werden.


3. Ergebnisse
Die Teilnehmer des Erzählsalons verlassen den Salon meist angeregt und zufrieden, oft sogar glücklich. Nicht nur, weil sie endlich einmal erzählen konnten, sondern, weil ihnen jemand zuhörte. Sie sind dankbar dafür, dass sich jemand für ihre Geschichte interessiert. Sie empfinden das Zuhören als Achtung vor ihrem Leben. Geachtet zu werden und Anerkennung zu erfahren, macht sie froh. Gerade auch Demente und Depressive.
Da die heute Hochbetagten und Dementen oft der Kriegs- bzw. der Kriegskindergeneration entstammen, werden die Themen oft zum Anlass genommen, um traumatisierende Erlebnisse loszuwerden. Denn gerade bei diesen Generationen steckt der Krieg tief in den Knochen und es gibt ein großes Bedürfnis, darüber zu erzählen, um sich von der Last des Leidens zu befreien.
Das Erzählen regt ihren Geist und ihre Gefühle an: Sie durchleben noch einmal, was ihnen vor langer Zeit geschehen ist. Das oftmals diffus Erinnerte zu verbalisieren, ist eine große psychische Leistung und zugleich ein ausgezeichnetes Gedächtnistraining – weit wirkungsvoller als alle Zahlenspiele, die keine Verbindung zu den eigenen Emotionen herzustellen imstande sind. Oftmals ist bei Dementen durch die Animation zum Erzählen eine spürbare Stimmungsaufhellung zu beobachten. Auch auf den Stations- oder Heimalltag wirkt sich der Erzählsalon positiv aus, weil die Patienten ausgeglichener, ja oft sogar fröhlich sind. Und den am Erzählsalon beteiligten Pflegekräften wird auf diese Art und Weise die Angst vor den Emotionen alter Menschen genommen.


4. Zusammenfassung/Schlussfolgerung
Der Erzählsalon ist eine effiziente Veranstaltungsform, um zwei elementare Bedürfnisse alter Menschen zu befriedigen: Erinnern und Erzählen. Finden sie regelmäßig statt, sind die Alten ausgeglichen und glücklich – was in den meisten Fällen zugleich zur Verbesserung ihres physischen Zustands führt. Erinnerungen zu erzählen, ist das beste Gedächtnistraining, das es gibt. Regelmäßig durchgeführte Erzählsalons sind deshalb eine zuverlässige Gewähr, die Lebensqualität alter und dementer Menschen anzuheben und das Klima zwischen Personal und Betreuten deutlich zu verbessern.

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