Alterspsychiatrie 2013: Grenzen überwinden

XI. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie e.V.

05.-07. Juni 2013 in Essen

   
   
   
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

auf Grund der demografischen Entwicklung müssen in Zukunft immer mehr ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen von immer weniger jüngeren Menschen versorgt werden. Schon heute fehlen Zehntausende von PflegerInnen, aber auch Ärzte. Das Gesundheits- und Sozialwesen, insbesondere aber auch die Kommunen, stehen damit vor stetig größer werdenden Herausforderungen in der Versorgung. Zu deren Lösung wird schon heute gerontopsychiatrische Kompetenz in allen Bereichen des Systems benötigt.

Die Frage, was solche Kompetenzen ausmacht, führt nach Auffassung der DGGPP zwingend zu Überlegungen in Richtung einer Spezialisierung. Sicher gehört Gerontopsychiatrie bezüglich basaler Kompetenzen zum Kernbereich des Mutterfachs Psychiatrie. In ihrer differenzierenden Auffächerung auf der Basis des international gewachsenen wissenschaftlichen und versorgungspraktischen Gewichts verlangt sie allerdings nach einem eigenen Schwerpunkt innerhalb dieses Mutterfachs.

Zu den gerontopsychiatrischen Kernkompetenzen, die die Komplexität geronto-psychiatrischer Aufgabenstellungen beleuchten, zählen
• die Beachtung der Physiologie des Alterns und seiner Konsequenzen für Pharmako-kinetik und –dynamik psychotroper Medikamente ebenso wie die Kompetenz und Erfahrung im Umgang mit gerontopsychotherapeutischen Verfahren,
• die Expertise bei der Erfassung und der ätiologischen Zuordnung kognitiver Einbußen ebenso wie die Kompetenz bei der systemischen Bewertung familiärer Interaktionen ,
• die erfahrungsbasierte Expertise hinsichtlich evidenzbasierter therapeutischer pharmakologischer und nichtpharmakologischer Interventionen ebenso wie die Fähigkeit, (Alltags-)Kompetenz verlässlich einzuschätzen,
• die Expertise hinsichtlich der Gestaltung multiprofessioneller Teams ebenso wie die Expertise bei der Bewertung der vielfältigen rechtlichen Fragestellungen;
• nicht zuletzt sollten uns gute Kenntnisse der deutschen Geschichte, mindestens der letzten 80 bis 100 Jahre, auszeichnen, um individuellen biographischen Besonderheiten ebenso gerecht werden zu können wie Kohorteneffekten.

Viele dieser Kompetenzen sind nicht exklusiv bei der Gerontopsychiatrie zu verorten, in ihrer Summe stellen sie allerdings ein Alleinstellungsmerkmal dar. Dies besonders angesichts des Umstands, dass der „gerontopsychiatrische Regelfall“ oft alle diese Fähigkeiten in ihrer Summe erfordert. An dieser Stelle soll nur in Parenthese darauf verwiesen werden, dass in der Pflegewissenschaft die gerontopsychiatrische Spezialisierung in den letzten Jahren einen Grad von Selbstverständlichkeit erfahren hat, die unserem Fach als medizinischer Disziplin wohl anstünde.

Für eine genauere Bestimmung der gerontopsychiatrischen Patienten sieht die DGGPP einen Diskussionsvorschlag der Faculty of Old Age Psychiatry des britischen Royal College of Psychiatrists als sehr hilfreich an, der drei inhaltlich definierte Gruppen ins Auge fasst:
• Patienten jeden Alters, die an einer primären Demenz leiden,
• Patienten, die an einer psychischen Erkrankung leiden und gleichzeitig eine bedeutsame somatische Komorbidität aufweisen, die die psychische Erkrankung kompliziert oder mindestens zu ihr beiträgt. Dies kann auch Patienten jünger als 60 Jahre betreffen.
• Patienten mit psychologischen oder sozialen Problemen, die sich auf den Alterns- (oder ggf. Sterbens-)prozess beziehen und solche, die sich mit ihren Problemen am besten bei geriatrisch Kompetenten aufgehoben fühlen. Dies bezieht sich in der Regel auf Menschen jenseits des 70. Lebensjahres.
Die Gerontopsychiatrie sollte auch bei uns die Diskussion über die Klientel aktiv suchen, um die notwendige Planung angemessener Versorgungsstrukturen zu befördern und gleichzeitig den immer noch zu beobachtenden Aversivreaktionen gegenüber unserem Fach den Stachel zu nehmen. Wir möchten auch der Sorge entgegentreten, dass ein Schwerpunkt Gerontopsychiatrie eine Zersplitterung des Mutterfachs Psychiatrie bedeuten würde. Wir sind vielmehr der Auffassung, dass so eine Abwehr der Erosion unserer Kernbereiche durch Nachbarfächer besser gelingen könnte. Gerade die Geriater brauchen nach aller Erfahrung gerontopsychiatrische Spezialisten als kollegiales Gegenüber und nicht so sehr Allgemeinpsychiater mit nur geringer gerontopsychiatrischer Kompetenz.

Was in den USA und Kanada, in Australien und Neuseeland, in Großbritannien und Irland, in Norwegen und der Schweiz, um nur einige Länder mit gerontopsychiatrischen Schwerpunkten zu nennen, zum Teil seit Jahrzehnten akzeptiert ist und sich bewährt hat, sollte auch in Deutschland endlich Wirklichkeit werden.

Der XI. Kongress der DGGPP unter dem Motto „Alterspsychiatrie 2013: Grenzen überwinden“ belegt ein weiteres Mal mit seinem breiten Themenspektrum, dass die Gerontopsychiatrie ein äußerst lebendiges und kreatives Mitglied der Familie der psychiatrischen Subdisziplinen darstellt und bereit ist, im gegenseitigen Austausch die Grenzen in den Köpfen und zwischen den Berufen ebenso zu überwinden, wie die im System angelegten. Nur so können die anstehenden Probleme gemeinsam gelöst werden.

     
     
   

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