Spezifischer Pharmakotherapie gerontopsychiatrischer Patienten: „Off-Label“ Anwendung und andere Konfliktfelder

Gereon Nelles,
Facharzt für Neurologie, Köln


Grundsätzlich dürfen in Deutschland Medikamente zu Lasten der Krankenkassen nur zur Behandlung derjenigen Erkrankungen eingesetzt werden, für die ein Hersteller die arzneimittelrechtliche Zulassung erwirkt hat. In Neurologie und Psychiatrie hat es in den vergangenen Jahren einen deutlichen Zuwachs an Erkenntnissen zur Arzneimittelwirk-samkeit aus qualitativ hochwertigen Studien gegeben. In vielen Fällen werden diese Er-gebnisse aber nicht auf die behördlichen Zulassungen übertragen. Der zulassungsüber-schreitende Einsatz von Arzneimitteln hat für Neurologen und Psychiater aber weit rei-chende Konsequenzen: Die kassenärztlichen Vereinigungen können den verschreiben-den Arzt für eine Off-Label Verordnung in Regress nehmen und die Kosten der Verord-nung in voller Höhe zurück fordern. Zudem können sich haftungsrechtliche Konsequen-zen ergeben. Hintergrund der Rechtssprechung zur Off-Label Anwendung ist vorrangig die Ausgabenbegrenzung der Arzneimittelkosten. Allerdings ist im Fach Neurolo-gie/Psychiatrie (aber auch in anderen Disziplinen wie Onkologie oder Kinderheilkunde) die Off-label Anwendung von Arzneimitteln unverzichtbar. Eine nachhaltige Einschrän-kung der medikamentösen Therapiemöglichkeiten – trotz wissenschaftlicher Evidenz – betrifft z.B. die Behandlung von Kopfschmerzen, Spastik, MS und der Einsatz von retar-diertem Methylphenidat sowie atypische Neuroleptika. Eine Expertengruppe zum Off-Label im Fachbereich Neurologie / Psychiatrie erarbeitet derzeit im Auftrag des gemein-samen Bundesausschusses Bewertungen und Empfehlungen zur Anwendung von Ar-zeimitteln außerhalb des zugelassenen Indikationsbereichs.
Ein weiteres Konfliktfeld ergibt sich durch die Liste der Analogpräparate („me-too Liste“). In Europa entfiel nur ein kleiner Teil von 29% der Neuzulassungen auf echte Innvotatio-nen. Aus Sicht der kassenärztlichen Vereinigungen haben Analogpräparate daher einen erheblichen Anteil an den steigenden Arzneimittelkosten. Sobald das Richtgrößenvolu-men einer Praxis überschritten ist, erfolgt ein Honorarabzug, wenn zu viele Me-too-Präparate verordnet wurden. Insbesondere für Spezialsprechstunden ist die Me-too-Liste eine schwerwiegende Einschränkung der Verordnungsfreiheit. Gleiches gilt auch für neurologisch-psychiatrische Praxen mit einem hohen Anteil an Verordnungen für a-typische Neuroleptika. Atypika sind den konventionellen Neuroleptika weder in ihrem Rezeptorprofil, noch in ihrer neurobiologischen Auswirkung analog. Gegenwärtig führt der Berufsverband Deutscher Nervenärzte intensive Verhandlungen mit den kassenärzt-lichen Vereinigungen, um insbesondere die Atypika-Verschreibung und die Behandlung von neuropathischen Schmerzen mit Pregabalin durch eine Korrektur der Me-too Liste zu erleichtern.

 

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