ADHS im Alter – eine Diagnose in der Gerontopsychiatrie?

Tillmann Supprian,
Abt. Gerontopsychiatrie, LVR-Klinikum Düsseldorf


1. Zielsetzung/Fragestellung
Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bleiben bei einem hohen Anteil von Menschen über das Kindes- und Jugendalter hinaus bestehen und rechtfertigen die Diagnose eines ADHS im Erwachsenenalter. Typisch für das ADHS im Erwachsenenalter ist eine Rückbildung der motorischen Hyperaktivität bei Persistenz der Aufmerksamkeitsstörung sowie deutlicher hervortretende affektive Symptome und desorganisiertes Verhalten. Die pathoplastischen Effekte des Alterns sind weitgehend unverstanden. Der Übertritt von Kindheit und Jugend ins Erwachsenenalter führt bei ca. 40 % der Betroffenen zu einer Konsolidierung einer ADHS-Symptomatik. Das Älter werden geht hier also möglicherweise mit einem Reifungsprozess einher, der sich positiv auf die ADHS-Symptomatik auswirkt. Es ist aber unklar, welchen Einfluß die weitere Alterung nach dem Fortbestehen der ADHS-Symptomatik in das Erwachsenenalter hat. Es gibt Gründe anzunehmen, dass die ADHS-Symptomatik bis in das hohe Alter erhalten bleiben kann.
In der Gerontopsychiatrie spielt die Diagnose eines ADHS bislang keine nennenswerte Rolle. Es ist aber davon auszugehen, dass auch im gerontopsychiatrischen Patientenspektrum Menschen mit einer persistierenden ADHS-Symptomatik anzutreffen sind. Nur wird wahrscheinlich nicht gezielt daraufhin untersucht und spontan werden typische Symptome und anamnestische Hinweise von den Betroffenen nicht vorgebracht. Zur Zeit der Kindheit von Menschen, die heute in gerontopsychiatrischen Einrichtungen behandelt werden, war die ADHS als spezifisches Störungsbild nicht bekannt und es herrschten völlig andere pädagogische sowie soziokulturelle Rahmenbedingungen als heute.

2. Materialien/Methoden
In einer ersten explorativen Untersuchung werden die Probanden über die Seniorenbegegnungsstätten der Stadt Düsseldorf (sog. „Zentren plus“) kontaktiert. Es werden ca. 200 Menschen im Alter > 60 Jahre untersucht. Einschlussvoraussetzung ist ein MMST > 26 Punkte. Nach einem kurzen freien Interview zur Erfassung biografischer Daten erfolgt das Wender-Rheimherr-Interview, die Bearbeitung der WURS-k und des ADHS- SB.

3. Ergebnisse
Obwohl die Untersuchung noch nicht abgeschlossen werden konnte, steht schon jetzt fest, dass auch in einer Population von Menschen > 60 Jahre typische ADHS-Patienten identifiziert werden können. Vermutlich wird sich im Vergleich zu jüngeren Populationen ein höherer Anteil von weiblichen Betroffenen finden. Dieses liegt einerseits sicher an der gewählten Stichprobe, die eindeutig einen höheren Anteil weiblicher Besucher in den Begegnungsstätten zeigte. Andererseits ist die höhere Gesamtmortalität männlicher Individuen zu berücksichtigen, die zu einer Verschiebung des Geschlechterverhältnisses im hohen Alter führt. Darüber hinaus ist zu fragen, ob die Mortalität von männlichen ADHS-Patienten (Risikoverhalten und Unfälle, Komplikationen bei komorbiden Abhängigkeitserkrankungen, usw.) diese Geschlechtsunterschiede der Prävalenz im hohen Alter noch verstärkt.

4. Zusammenfassung/Schlussfolgerung
Die Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter sollte auch in der Gerontopsychiatrie Berücksichtigung finden und rechtfertigt eine gezielte Exploration nach ADHS-typischer Symptomatik im Kindes- und Jugendalteralter. Es ist davon auszugehen, dass sich in Kollektiven von älteren Patienten mit Angsterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen und affektiven Erkrankungen, Menschen finden, bei denen sich retrospektiv eine in das Erwachsenenalter persistierende ADHS-Symptomatik identifizieren lässt.

 

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