Antipsychotika und Polypharmazie

Gabriel Eckermann,
Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren


Stationäre Patienten erhalten im Mittel 3,5 Medikamente, Alterspatienten werden durchschnittlich mit fünf Pharmaka behandelt, zusätzlich ist die in ihrem vollen Ausmaß nicht bekannte Selbstmedikation (u.a. Johanniskraut, Ginkgo biloba, pflanzliche Diuretika) sehr hoch.
Die als gefährlich eingestuften Arzneimittelkombinationen werden auf sieben bis acht Prozent geschätzt, d.h. ca. jeder 15. Kombinationspatient ist betroffen (in diese Schätzung sind jedoch die zum Teil sehr großen Interaktionsprobleme, die durch die o.g. Selbstmedikation entstehen, überhaupt nicht eingegangen; dies ist angesichts der angeführten großen Dunkelziffer der Selbstmedikation auch sehr schwierig.)

Arzneimittelinteraktionen lassen sich prinzipiell in pharmakodynamische und pharmakokinetische Wechselwirkungen einteilen.
Pharmakodynamische Wechselwirkungen können entstehen, wenn zwei oder mehr Substanzen am gleichen Rezeptor oder an miteinander verbundenen oder rückgekoppelten Rezeptorsystemen oder Regelkreisen aktiv sind.
So haben sich bei einer Patientin die anticholinergen Wirkungen von Amitriptylin (Saroten®) mit den anticholinergen Wirkungen von Olanzapin (Zyprexa®) zu einem anticholinergen UAW-Ereignis (UAW = Unerwünschte Arzneimittel-Wirkung) aufsummiert, nämlich zu einer schweren Miktionsstörung. Die Einzelsubstanzen zeigten für sich allein keine anticholinergen Störungen.

Pharmakokinetische Interaktionen entstehen, wenn ein Medikament die Absorption, die Verteilung in den Kompartimenten, den Metabolismus oder die Exkretion eines anderen Medikamentes so verändert, dass dessen Konzentration erhöht oder gesenkt und damit seine effektive Konzentration am Wirkort verändert wird.
Bei pharmakokinetischen Interaktionen können bei den jeweils beteiligten Substanzen zwar übliche Dosierungen vorliegen, die Plasmakonzentrationen und damit die effektiven Konzentrationen am Wirkort aber haben sich in klinisch bedeutsamer oder gar gefährlicher (bis hin zur Intoxikation oder auch -durch Induktion mit reduzierten Spiegeln bis zur Unwirksamkeit) Weise verändert.

Die wichtigsten pharmakokinetischen Wechselwirkungen finden auf der Ebene der Metabolisierung statt. Hier spielt das Cytochrom-P450-System, vor allem die hepatischen Enzyme, aber auch arzneimittelmetabolisierende Enzyme in der Darmmukosa, eine zentrale Rolle. Mit einigen Informationen über dieses System und den Eigenschaften seiner Isoenzyme lassen sich viele alltagsrelevante Wechselwirkungen vorab abschätzen.

So ist ein u,U. sehr problematischer Inhibitionseffekt bei der Kombination von Fluoxetin (z.B. Fluctin®) zu beobachten, da Fluoxetin mehrere Abbaurouten des Cytochromsystems effektiv hemmt (CYP2D6, CYP3A4 und CYP2C19). Zusätzlich und gleichsam „erschwerend“ kommt die lange Halbwertszeit von Fluoxetin von ca. 15 Tagen hinzu (Fluoxetin zusammen mit dem pharmakologisch aktiven Metaboliten Norfluoxetin). Dies kann auch noch nach Absetzen von Fluoxetin an den betroffenen Abbaurouten zu wochenlangen Hemmeffekten führen mit der Folge, dass die Elimination vieler Medikamente aus dem psychiatrischen und internistischen Bereich erheblich beeinträchtigt ist. Es resultieren überhöhte, evtl. toxische Spiegel der Komedikation.

Ein weiterer Punkt betrifft einen relevanten Teil der Patienten, nämlich die klinischen Aspekte der pharmakogenetischen Veränderungen von Metaboliserungssystemen, sog.Polymorphismen.

Es werden Grundlagen der Wechselwirkungspharmakologie, klinische Beispiele von Kombinationen von Antipsychotika mit weiteren Psychopharmaka, aber auch mit internistischer Medikation wie Antikoagulanzien, Antibiotika, Antikonzeptiva (z.T. mit Messung der Blutspiegel, Therapeutisches Drug Monitoring, TDM) vorgestellt. Die pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Interaktionsmechanismen werden diskutiert.

Schließlich wird noch eine aktuelle elektronische Interaktionsdatenbank vorgestellt, die insbesondere für Ärzte, die häufiger mit Psychopharmaka arbeiten, von Interesse ist.
Die Online-Datenbank hat die Adresse: www.psiac.de
„ Psiac“ steht für „Interaktionscomputer in der Psychiatrie“.
Die Datenbank enthält derzeit ca. siebentausend Paarungen von Psychopharmaka mit Psychopharmaka, und von Psychopharmaka mit einer Vielzahl von internistischen und allgemeinmedizinischen Substanzen.

 

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